Montag, 7. Mai 2018

Melanie Raabe: Die Wahrheit

- ein packender Psychothriller.

Auch diesen Roman hat meine Tochter für mich ausgesucht und goldrichtig gelegen. Er entwickelt einen regelrechten Sog, so dass ich den Thriller im letzten Drittel nicht mehr aus der Hand legen konnte.


Worum geht es?
Vor sieben Jahren ist Philipp Petersen verschwunden. Als reicher Geschäftsmann war er in Südamerika unterwegs und seine Spur verliert sich auf dem Weg vom Hotel zu einem Meeting.
Aus der Ich- Perspektive Sarahs, seiner Frau, ist ein Teil des Romans erzählt:

"Seither halte ich die Pausen-Taste meines Lebens gedrückt und warte auf ihn. Sieben Jahre Hoffen und Bangen und ein Gefühl absoluten Verlorenseins, das manchmal so stark war, dass ich am liebsten jede Erinnerung an Philipp aus meinem Gedächtnis getilgt hätte." (12)

Halt gibt ihr der achtjährige Sohn Leo, ihre Stelle als Lehrerin und einige wenige Freunde, die sie in Hamburg hat. Sie lebt in dem Haus, das ihre Schwiegermutter ihrem Sohn überlassen hat - eine kühle hanseatische Stadtvilla in Beige, in dem sie sich nicht wohl fühlt.

Und doch geht das Leben weiter, sie lässt sich die Haare abschneiden 🙂 - der Klassiker - und verabredet sich mit einem Arbeitskollegen. Es scheint, als könne sie allmählich zur Normalität zurückfinden, auch wenn sie immer wieder von einem Alptraum geplagt wird.

Im Rückblick erfahren wir aus Philipps Sicht etwas über den Tag der Abreise und darüber, dass die Ehe nicht so rosarot erscheint, wie es uns Sarah bisher verkauft hat - wer sagt die Wahrheit?
Das Kapitel endet damit, dass man nicht weiß, ob Philipp wirklich in den Flieger nach Südamerika gestiegen ist.

In der Gegenwart erhält Sarah einen Anruf, dass Philipp zurückkommt - er wurde befreit und lebt - gerade in dem Moment, als sich ihr Leben wieder zu normalisieren scheint. Voller Anspannung fährt sie am Tag seiner Ankunft zum Flughafen.

"Mein Blick ist starr auf die Flugzeugtür gerichtet, und als sich für einen kurzen Augenblick lang gar nichts tut und ich schon denke, dass alles nur ein Irrtum war, dass irgendetwas furchtbar schief gegangen ist, dass Philipp sich gar nicht in diesem Flugzeug befindet, dass dieses Flugzeug leer ist, keine Piloten, keine Crew, keine Passagiere, ein Geisterflug - da geschieht es. Eine kleine Gruppe von Menschen tritt nach und nach durch die Tür (...) Wo ist Philipp?" (71)

Ein Fremder tritt auf Sarah zu und völlig verwirrt, sprachlos und angespannt, bringt sie nur den Satz heraus, den sie sich zurecht gelegt hat: "Schön, dass du wieder da bist." (76)

Es stellt sich heraus, dass außer Sarah und einem Geschäftspartner, der gerade im Ausland ist, keiner aus ihrem Umfeld Philipp kennt und weiß, wie er wirklich ist und aussieht. Seine Mutter leidet an Demenz. Wer soll ihr glauben, nachdem sie Philipp am Flughafen als ihren Mann begrüßt hat und er Leo auf den Arm genommen hat. Wer glaubt ihr die Wahrheit?

Abwechselnd aus Sarahs Persepektive und der Ich-Perspektive des Fremden geht die Farce weiter und als Leser*in fragt man sich, warum Sarah nicht einfach die Polizei anruft.

"Er ist wie eines dieser Tiere, die in ein fremdes Ökosystem eindringen und es von innen heraus zerstören." (128)

Raabe gelingt es, dass man beim Lesen permanent Hypothesen bildet, die kontinuierlich widerlegt werden, bis am Ende eine völlig plausible Wahrheit steht und deutlich wird, dass die Ich-Perspektive das Geschehen nicht immer verlässlich erzählt.

Bewertung
Der Roman ist sehr spannend und hält gleich mehrere ungewöhnliche Wendungen bereit. Zwischendrin zweifelt man der Glaubwürdigkeit der Geschichte, doch am Ende passt - zumindest für mich - alles zusammen. Es ist wahrhaftig ein Psychothriller, da die Wahrnehmung und das Verdrängen eine große Rolle im Roman spielen.
Die Ich-Perspektive aus den unterschiedlichen Sichtweisen sorgt zusätzlich dafür, dass man immer wieder auf eine falsche Fährte gelockt wird.
Der innere Monolog eröffnet die Möglichkeit in die Gedanken der beiden Antagonisten hineinzuschauen, teilweise werden diese jedoch zu ausführlich geschildert, so dass ich, wenn mir die Erzählzeit all zu sehr "gedehnt" wurde, auch mal quer gelesen habe, weil ich wissen wollte, wie die Handlung weiter geführt wird.

Insgesamt ein gut konstruierter, glaubwürdiger Thriller, der sehr unterhaltsam ist.

Buchdaten
Taschenbuchausgabe, 440 Seiten
btb, 29.August 2016

Vielen Dank an den Verlag für das Lese-Exemplar.