Donnerstag, 14. Dezember 2017

J.Paul Henderson: Der Vater, der vom Himmel fiel

und seine Familie retten will.
Quelle: Diogenes


Hardcover, 352 Seiten
Diogenes, 23.August 2017

Den Roman habe ich erfreulicherweise in einer Verlosung bei whatchareadin gewonnen, hier geht es zur Buchseite des Verlages.


Worum geht es?
Lyle Bowman stirbt am 16. Juni 2012, weil er versehentlich ein Glas Terpentin statt seinem Antibiotikum in Wasser aufgelöst getrunken hat. Benommen wankt er über die Straße und wird überfahren.
Auf seiner Beerdigung finden sich nur wenige Menschen ein. Darunter sein ältester Sohn Billy, dessen pferdegesichtige Frau Jean und ihre 6-jährige Tochter Katy, sein eigenwilliger Bruder Frank sowie einige Nachbarn. Der Reverend hat Mühe etwas über den Verstorbenen zu sagen, der ein ruhiges Witwerdasein geführt hat, da seine 20 Jahre jüngere Frau Mary nach nur 13 Jahren verstorben ist. Als die Beerdigung fast vorüber ist, taucht noch jemand auf:

"Der Mann war groß und sonnengebräunt, hatte lange blonde Haare, trug Bermudashorts, ein Hawaiihemd und eben Flip-Flops. (...) Billy drehte sich um. Er lächelte. "Das ist dein Onkel Greg! Ich hab ja gesagt, dass er diesmal kommt." Es war das erste Mal seit sieben Jahren, dass sich die beiden Brüder wiedersahen." (S.19)

Der Streit war um das Streichen einer Regenrinne entbrannt und gipfelte in Billys Ausspruch:

"Immer weißt du alles besser." Und musst immer einen Schritt zu weit gehen!" (S.43)

Greg lehrt in Texas Geschichte an der Universität und sein Gepäck ist beim Flug verloren gegangen - daher das Hawaiihemd. So muss er bei seinem Bruder, der nach einigen beruflichen Stationen inzwischen bei einem Verlag arbeitet, übernachten, obwohl dessen Frau Greg abgrundtief hasst. Kein Wunder, hat er doch auf der Hochzeit unter Einfluss von Magic Mushrooms kurz vor dem Ehegelöbnis gerufen:

"JEAN IST EIN VAMPIR" (S.50)

Eine Kränkung, die nur sehr schwer wieder gut zu machen ist und das Verhältnis der Bruder zusätzlich belastet. Zusammen mit der Tatsache,

  • dass Greg nicht in der Lage ist eine verbindliche Beziehung einzugehen
- "Der Anfang vom Ende war für Greg immer gekommen, sobald die aktuelle Freundin über eine eventuelle gemeinsame Zukunft sprechen wollte. Jedes Mal kam Greg dann zu der Erkenntnis, dass es ihm im emotionalen Nichtschwimmerbecken doch besser gefiel, wo man sich lediglich körperlich aufeinander einließ und Verantwortung nur theoretisch existierte." (S.73) -

  • dass Onkel Frank sich ständig der Polizei stellt, um Straftaten zu gestehen, die er definitiv nicht begangen hat,
  • dass Billy unter einer ungewöhnlichen Phobie leidet.
sieht das nach einer Familie aus, die Hilfe benötigt.

Diese eilt in Form des geisterhaften Lyle Bowmans herbei, der nach einem Verwaltungsfehler in der Übergangsstation zum Himmel für 20 Tage auf die Erde zurückkehren darf. Allerdings mit der Einschränkung an einem Ort zu bleiben und sich nur einer Person zu zeigen. Er wählt sein eigenes Haus, da er davon ausgeht, dass sein jüngster Sohn sich bis zu dessen Renovierung und Verkauf dort aufhalten wird.
Er verlangt von Greg, dass er herausfindet, worin Billys Problem besteht. Billy, dem es immer schwer fiel zu lernen und dem im Gegensatz zu Greg nie etwas in den Schoß gefallen ist.

Des Weiteren soll er die Motive für Onkel Frank seltsames Verhalten aufdecken. Was steckt hinter diesen "Besuchen" bei der Polizei.
Keine leichte Aufgabe, wie sich herausstellt, die ausgerechnet derjenige lösen soll, auf den man sich am wenigsten verlassen kann.
Eigenartige Phobien sowie ein unausgegorener Plan, endlich ein Cowboy zu werden, tauchen im weiteren Verlauf der Handlung auf - aber auch Versöhnungen, Reflexionen und die Lösung tiefer liegender Probleme und eine - nicht ganz ernstzunehmende - Variante dessen, was uns nach dem Tod erwartet.
Da kann man nur hoffen, dass man nach seinem Tod an einen kompetenten "Verwaltungsbeamten" gerät ;)

Bewertung
Ohne Zweifel eines der witzigsten Bücher, die ich dieses Jahr gelesen habe. Aber den Roman nur eine Komödie zu nennen, greift zu kurz. Es geht auch um die Bedeutung der Familie, darum, füreinander da zu sein und die Fähigkeit einander zu vertrauen.
Und erstaunlicherweise auch um das Thema des Alleinseins. So zynisch Onkel Frank sein mag und für viele Lacher beim Lesen sorgt, so einsam ist er auch, ein Mensch, der sich letztlich nach Nähe sehnt. Wenn ihm auch sein unfreundliches Verhalten permanent dabei im Weg steht.

Berührend, wenn Lyle beschreibt, wie er begonnen hat, mit den Möbeln zu reden, um der Stille zu entgehen und wie jeder Tag ihm endlos erschienen ist. Das hat mich an "Unsere Seelen bei Nacht" erinnert, in der eine ältere Dame den Mut aufbringt, einen befreundeten Nachbarn zu bitten, die Nächte mit ihr zu verbringen - zum Reden, damit sie nicht mehr allein ist.

Insgesamt gute Unterhaltung mit Witz und leichtem Tiefgang - ideal für die Zeit zwischen den Jahren, wenn die familienträchtigen Tage vorüber sind.