Sonntag, 27. August 2017

Graham Swift: Ein Festtag

- ein wunderbares, kleines Buch.

Ein Gastbeitrag von Literaturhexle


Gebundene Ausgabe, 144 Seiten
dtv Verlagsgesellschaft, 15.Mai 2017


Inhalt
Die Erzählerin ist eine sehr alte Dame jenseits der 90. Sie erzählt im Wesentlichen von einem einzigen Tag ihres Lebens, der aber sehr einschneidend gewesen ist und in Folge ihrem Leben eine neue Richtung gegeben hat.
Es ist der Muttertag 1924, von dem sie erzählt, weshalb der Roman im Original auch "Mothering Sunday" heißt und ich mich über den deutschen Titel geärgert habe...


Die Erzählerin Jane ist 1924 eine Waise und Hausmädchen bei den Nivens, wo sie die Bücher des Hausherren lesen darf und über eine überdurchschnittliche Bildung verfügt.

"Aber es stimmte, sie war klug. Klug genug, um zu wissen, dass sie klüger war als er. Immer schon, besonders am Anfang, war sie ihm an Klugheit überlegen gewesen." (S.20)

Jane unterhält seit Jahren ein Verhältnis mit Paul Sheringham, der in Kürze standesgemäß Emma Hobday heiraten wird. Der Großteil des Romans handelt von letzten Stelldichein an jenem Muttertag. Zwischendrin berichtet die Erzählerin von anderen Erlebnissen in ihrem Leben: Sie wird Buchhändlerin, schließlich Schriftstellerin und ist verheiratet mit einem Philosophen.
Doch der Muttertag bewegt sie immer noch.

Bewertung
Die eigene, feine Sprache, hat mich sofort in ihren Bann gezogen. Es ist die Art Buch, die ich liebe: Eindringlich, ruhig, aber spannend mit interessanten Charakteren. So dass man sich am Ende fragt: "Was wäre gewesen, wenn..." Es hallt nach!



Meine Bewertung

"Und du sollst doch zum Ball gehen!"

Das Zitat ist dem Roman vorangestellt und erinnert an das Märchen "Aschenputtel". Ganz so schlecht ergeht es Jane nicht, doch auch sie ist verliebt in einen Prinzen. Wie Literaturhexle angedeutet hat, ist der vorliegende Roman kein Märchen, im Leben heiratet das Dienstmädchen nicht den Adligen.

"Es war März 1924. Es war nicht Juni, aber es war ein Tag wie im Juni. Es musste kurz nach zwölf Uhr mittags sein. Ein Fenster stand offen, und er ging unbekleidet durch das sonnendurchströmte Zimmer, sorglos, nackt; er wirkte wie ein Tier. Es war ja sein Zimmer. Da konnte er tun und lassen, was er wollte. Das konnte er. Und sie war noch nie hier gewesen, würde auch nie wieder herkommen. Auch sie war nackt." (S.11)

Trotzdem beeinflusst er - wie die Bücher, die Niven ihr zu lesen erlaubt - ihre Sprache, ihr Vokabular und gibt ihrem Leben eine neue Richtung: vom Dienstmädchen zur Buchhändlerin zur Schriftstellerin.

"Man nannte es >Regenerierung<, dachte sie, ein Wort, das gewöhnlich nicht im Vokabular eines Dienstmädchens vorkam. Inzwischen kannte sie viele Wörter, die nicht in das Vokabular eines Dienstmädchens passten. Auch das Wort Vokabular. Sie sammelte sie, wie die Vögel draußen, die für den Nestbau sammelten." (S.40)

Die Affäre hat ihr Leben bereichert und sie bereut nichts:
"Wir sind alle Brennstoff. Wir werden geboren, und wir brennen, manche schneller als andere. Und es gibt unterschiedliche Zündstoffe. Aber nicht zu brennen, nie zu entflammen, das wäre wahrhaftig ein trauriges Leben." (S.112)

Der Roman ist aber auch Buch über Bücher, nicht nur, dass Jane einige der Romane erwähnt, die sie geprägt haben, sie reflektiert auch über das Erfinden von Geschichten:

"Alles Fiktion! Aber etwas, das eindeutig und vollständig Fiktion war, konnte - und das war der Dreh- und Angelpunkt und das ganze Geheimnis - auch Wahrheit enthalten." (S.134)

Ein schöner Satz - ein lesenswerter Roman!