Montag, 30. Mai 2016

Warum brauchen wir unabhängige Buchhandlungen?

- zwei Antworten auf diese Frage:

Buchdaten
Verlag: Atlantik,
18.1.2016

ISBN-13:
978-3455370284

Verlag: Fischer
Taschenbuch,
April 2016

ISBN-13:
978-3596036103

Ann Patchett, eine erfolgreiche US-amerikanische Autorin, schildert, wie sie sich gemeinsam mit zwei Geschäftspartnerinnen entschieden hat, eine eigene Buchhandlung zu eröffnen, nachdem in ihrer Heimatstadt Nashville die letzte unabhängige Buchhandlung die Pforten geschlossen hat. Auf ihrer Lesereise propagiert sie ihre Entscheidung und erzählt sehr amüsant von den Reaktionen der Journalisten, die immer wieder betonen, der Buchhandel sei tot. Bis sie begreift, dass sie als berühmte Autorin genau wie die Modezeitschriften, Trends setzen kann, und behauptet, der Buchhandel erlebe eine Wiederauferstehung. Der Erfolg ihres Ladens gibt ihr Recht.

Es sind solche wunderbaren Sätze, die mich an meine eigene Buchhandlung denken lassen und die mir wieder vor Augen führen, warum ich dort meine Bücher kaufe:

"Mills hieß der Buchladen meiner Jugend (...), kann nicht viel größer als 60 Quadratmeter gewesen sein, und die Leute, die dort arbeiteten, kannten dich und merkten sich, was du liest, auch wenn du erst zehn Jahre alt warst. Wenn ich so einen Buchladen erschaffen will, der Bücher und ihre Leser hoher schätzt als Muffins und schicke Plastikgießkannen, einen Laden, der nicht den Anspruch hat, jedes Buch auf Lager zu haben, das jemand suchen könnte, und deshalb mit den Büchern bestückt ist, die das Personal gelesen hat und empfehlen kann, wenn ich das Bücherglück meiner Kindheit wiedererschaffen will - dann war vielleicht ich genau die Richtige dafür." (S.16/17)

"Jetzt, da wir jederzeit jedes Buch bestellen können, ohne uns vom Bildschirm wegzubewegen, merken wir, was wir verloren haben: eine Begegnungsstätte, zwischenmenschlichen Kontakt, die Empfehlung eines klugen Lesers im Gegensatz zu einem Computeralgorithmus, der uns sagt, was andere Kunden gekauft haben." (S.39)

Das ist genau das, was mich auch in den Zeiten des Internetbuchhandels in meinen Buchladen führt: Ein netter Plausch über das Gelesene, über Neuerscheinungen, eine Buchempfehlung von der Buchhändlerin meines Vertrauens und plötzlich halte ich einen Roman in Händen, von dem ich nicht wusste, dass ich ihn nicht kenne.

Und genau an diesem Punkt setzt der Essay von Mark Forsyth an.

Er argumentiert, dass wir wissen, dass wir bestimmte Bücher gelesen haben. Also das bekannte Bekannte. Daneben gibt es Bücher, von denen wir wissen, dass wir sie nicht gelesen haben, das unbekannte Bekannte. Soweit so gut, aber das Entscheidende sind die Bücher, von denen wir nicht wissen, dass wir sie nicht gelesen haben, da wir sie überhaupt nicht kennen und auch nicht danach suchen. Das unbekannte Unbekannte - und diese Literatur kann uns auch Amazon nicht empfehlen, da der Algorithmus uns immer nur diejenigen Bücher präsentiert, die zu unseren vorherigen Suchanfragen kompatibel sind. Die Maschine überlässt nichts dem Zufall, aber genau der führt uns in guten Buchhandlungen manchmal zu dem Buch, von dem wir nicht wussten, dass wir es nicht kennen. Diese Argumentationskette verknüpft Forsyth mit einigen weiteren interessanten Aspekten.

So führt er an, dass "Romantik ist, nicht das zu bekommen, was Sie wollten." (S.26)
Julia wollte sicherlich keinen Montague, Romeo keine Capulet und doch sind sie sich zufällig auf jenem Fest begegnet. Hätten sie sich im Internet suchen müssen, wären sie niemals ein tragisches Liebespaar geworden. Denn beide hätten bei der Partnersuche angegeben, dass sie keinen Montague respektive keine Capulet als potentiellen Geliebten wünschen.

Die gute Buchhandlung ist romantisch, sie führt uns zu Büchern, die wir eigentlich gar nicht haben wollten. Irgendwo warten die Bücher auf uns, die wir nicht suchen - und finden werden wir sie nicht im Netz, sondern zufällig, in einer wunderbaren unabhängigen Buchhandlung!