Donnerstag, 19. Mai 2016

Linda Winterberg: Das Haus der verlorenen Kinder

Ein Roman über zwei Norwegerinnen, die im 2.Weltkrieg in zwei deutsche Soldaten verlieben.


Buchdaten

Taschenbuch: 528 Seiten

Verlag: Aufbau Taschenbuch

Erschienen am: 18.April 2016

ISBN-13: 978-3746632209

Vielen Dank an den Aufbau Taschenbuch Verlag, der mir dieses Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt hat.



Inhalt
Prolog
Die junge Lisbet, die ein kleines Mädchen geboren hat, scheint ganz allein im Dezember 1942 in Norwegen zu sein. Eine Tragödie hat sich abgespielt, die sie von ihrer besten Freundin Oda getrennt hat.

Die Geschichte springt nach dem Prolog ins Jahr 2005 und spielt in Wiesbaden, in einem Altenheim. Marie, eine junge Vollwaise, die ihre Eltern im Alter von zwei Jahren bei einem Verkehrsunfall verloren hat, absolviert ein Freiwilliges Soziales Jahr in jenem Heim, da sie in den Unterlagen ihrer Mutter eine Fotografie des Hauses entdeckt hat. Sie hat einen leidvollen Weg durch mehrere Pflegefamilien und Heimaufenthalten hinter sich, ihr Studium abgebrochen und ist auf der Suche nach ihren Wurzeln.
Im Altenheim lernt sie die resolute alte Dame Betty kennen, die aus Norwegen stammt und oftmals in ihren Erinnerungen versinkt.

Parallel dazu entfaltet sich im Rückblick die Geschichte zweier junger norwegischer Mädchen, die im kleinen Küstenstädtchen Loshavn leben und sich jeweils in einen deutschen Soldaten während der Besatzungszeit Norwegens im Mai 1941 verlieben. Die Protagonistin dieses Erzählstrangs ist Lisbet, und ohne viel vorwegnehmen zu wollen, erschließt sich recht schnell, dass Lisbet Betty sein muss.
Oda, Lisbets beste Freundin, und sie selbst folgen ihren Liebsten nach Kristiansand, allerdings halten sie ihre Beziehungen geheim. Die Verbindungen zwischen einem deutschen  Soldaten und einem norwegischen Mädchen wurden geächtet, die jungen Frauen als Huren und Verräterinnen, Kinder aus solchen Verbindungen als Deutschenkinder beschimpft und verachtet. Nichtsdestotrotz liebt Lisbet ihren Erich von ganzem Herzen.

Im Jahr 2005 erhält Marie einen Umschlag mit einem Tagebuch, das in norwegischen Schrift verfasst ist, mit einem Hinweis darauf, dass der Fall Lisbet Bauer zu eben jenem Altenheim weitergeleitet wurde. Es stellt sich heraus, dass das Altenheim im Dritten Reich ein sogenanntes Lebensborn-Heim gewesen ist:

Der Lebensborn-Verein wurde 1935 von Heinrich Himmler mit dem Ziel der Vermehrung der "arischen Rasse" gegründet. Der Verein unterstützte u.a. hilfsbedürftigen Mütter und Kinder "guten Blutes" in entsprechenden Heimen. (Quelle: LeMO)

Auch das Altenheim ist im Dritten Reich ein sogenanntes Lebensborn-Heim gewesen. Gertrud, eine Altenpflegerin ist selbst in diesem Heim geboren und auf der Suche nach ihrer Vergangenheit hat sie im Keller die Spuren dieser unrühmlichen Geschichte entdeckt sowie bergeweise Akten mit Fällen der Kinder, die dort gelebt haben.
Auch Maries Mutter ist augenscheinlich eines jener Kinder, die von Norwegen aus dorthin gebracht wurden. Während Marie und Gertrud auf Spurensuche sind, verschwindet Betty, gemeinsam mit den Norweger Jan, der ihrer Freundin Oda so ähnlich sieht.

Die Leser/innen erfahren, dass sowohl Lisbet als auch Oda schwanger sind und sie begegnen sich in einem Lebensborn-Heim in Hurdal Verk wieder, wobei sich herausstellt, dass Lisbet als "arisches" junges Mädchen besser behandelt wird als die Samin Oda.

Die Heime in Norwegen wurden vor allem in Norwegen zum Schutz der Mütter und Kinder, die eben oft Beschimpfungen und Angriffen ausgesetzt waren, gegründet, zur Bewahrung des wertvollen Blutes. Allerdings wurden einige Kinder den Müttern weggenommen und nach Deutschland verschleppt. Nur wenige konnten ihren Eltern nach dem Krieg zurückgegeben werden. (Quelle: LeMO)

In Norwegen treffen Betty und Jan letztlich auf Marie und Gertrud und das Rätsel um den Verbleib der Kinder von Lisbet und Oda löst sich auf.

Bewertung
Der Roman erzählt sehr einfühlsam die Geschichte der beiden norwegischen Mädchen, deren Schicksal sich auf ihre Nachkommen bis in die Gegenwart hinein auswirkt. Aufgrund der wechselnden Erzähllinien bleibt es bis zum Schluss spannend, bis sich das Rätsel um die beiden Mädchen - Lieselotte und Siri löst. Für meinen Geschmack entwirren sich die Fäden am Ende aufgrund sehr vieler Zufälle - aber irgendwie gönnt man den Protagonistinnen diese glückliche Fügung.

+++Spoiler+++
Für mich ist am Ende allerdings eine Frage offen geblieben: Warum hat Erich nach dem Krieg keine Nachforschungen um den Verbleib Lisbets angestellt, wenn er sie so sehr geliebt hat. Denn Lieselotte hat er mit seiner neuen Frau zu sich genommen, hier fehlt eindeutig ein Puzzleteilchen.
+++

Sprachlich hat mich der Roman aufgrund der vielen Wiederholungen, der konventionelle Bilder und teilweise trivialen Ausdrucksweise, wie z.B. "gefangen von seinen samtbraunen Augen" (S.21), nicht überzeugt.

Aber wichtiger ist, dass er auf die Behandlung der norwegischen Mädchen aufmerksam macht, die sich in einen deutschen Soldaten verliebt haben, und die Ungerechtigkeiten aufzeigt , denen sie ausgesetzt waren. Und er informiert über die Lebensborn-Heime, von denen ich persönlich vorher nur am Rande gehört habe und die deutlich machen, welche unmenschliche und verquere "Rassenideologie" die Nationalsozialisten vertraten, indem nur "arische" Kinder und Mütter entsprechend versorgt wurden.

Insgesamt eine interessante, spannende Geschichte, die es sich zu lesen lohnt.