Samstag, 27. August 2016

Tim Parks: Worüber wir sprechen, wenn wir über Bücher sprechen

- eine Essaysammlung, die Fragen rund um das Lesen und Schreiben anspruchsvoll beleuchtet.

Buchdaten
Gebundene Ausgabe: 240 Seiten
Verlag: Verlag Antje Kunstmann GmbH
Erschienen am: 24.8.2016
ISBN-13: 978-3956141300
Originaltitel: Where I´m reading from

Vielen Dank an die Bücherhütte, die mir dieses Leseexemplar zur Verfügung gestellt hat.

Inhalt

Tim Parks selbst hat auf vielfältige Art und Weise mit Büchern zu tun. In einem der Essays "Sind Sie der Tim Parks, der...?" (S.189) thematisiert er selbst seine unterschiedlichen Gesichter, die je nach Nation variieren, um zu zeigen, dass ein Schriftsteller nicht immer einer Weltgemeinschaft zugehörig ist.
"In England bin ich hauptsächlich für leichte, aber, wie ich hoffe, gehaltvolle Sachbücher bekannt; in Italien für polemische Zeitungsartikel und ein umstrittenes Buch über Fußball; in Deutschland, Holland und Frankreich für Europa, Schicksal, Stille, die ich als meine >seriösen< Romane bezeichnen würde, in den USA für Literaturkritik; und in einer Handvoll anderer Länder, aber auch in verschiedenen akademischen Milieus, für meine Übersetzungen und Texte über das Übersetzen." (S.189)

Diese Vielfalt ermöglicht es ihm in 33 Essays "Die Welt des Buches", "Das Buch in der Welt", "Die Welt des Schriftstellers" und "Schreiben rund um die Welt" differenziert und amüsant zu betrachten.

So stellt er gleich zu Beginn die provokante These auf, ob wir Romane wirklich brauchen.
Ihre Leistung bestehe darin, dass sie "die Idee eines Ichs, das sich mit der Zeit entwickelt, begierig, wirklich etwas zu sein (selbst zum Preis großen Leidens)" (S.19) befördern.
Aber brauchen wir sie wirklich? Wecken sie nicht vielmehr große Erwartungen, die nicht erfüllt werden können?
Tim Parks gesteht, dass er selbst der Ich-Erzählung verfallen ist, ohne sie jedoch wirklich zu brauchen. Aber wir alle, die wir lesen, wissen um die Freude, in andere Leben einzutauchen und mitzuleiden, mitzufiebern und sich mitzufreuen.


Sein Essay "Sollen wir Bücher zu Ende lesen" wartet mit der These auf, das Leben sei zu kurz für schlechte Bücher. Dem kann man zustimmen, gefällt ein Roman nicht, muss man sich ja nicht unbedingt hindurch quälen. Aber er geht weiter und gibt zu, auch gute Bücher, die ihn fesseln, nicht immer zu Ende zu lesen. Er argumentiert, dass der Leser selbst entscheiden solle, wo er sich verabschieden will. Was ist aber mit der Handlung, mit dem Roman als organischem Ganzen?

"Aber selbst in diesen Romanen, bei denen vor allem die Handlung das eigentliche Lesevergnügen ausmacht, stellt uns das Ende selten zufrieden, und wenn wir das Buch mögen und es anderen empfehlen, dann selten wegen seines Schlusses. Wichtig sind die Rätsel der Handlung, die Kräfte, die zum Einsatz kommen und die Spannungen zwischen ihnen. (...) Tatsächlich ist das Beste, was wir uns von einem guten Schluss erhoffen können, dass er nicht ruiniert, was davor war." (S.24)

Schließlich liefert uns der Schluss nur eine von vielen Möglichkeiten.
Ich selbst lese bei guten Romanen immer bis zum Schluss, aber ich muss Tim Parks Recht geben, das ein oder andere Mal, hat mich der Schluss enttäuscht und im Nachhinein betrachtet, wäre es besser gewesen, davor aufzuhören. .Aber das weiß man erst hinterher.

Viele Essays kreisen um das Thema der Globalisierung der Literatur, unter anderem "Der langweilige neue globale Roman", der aufzeigt, dass Autoren heute international erfolgreich sein müssen, um als bedeutend zu gelten. Das führt jedoch dazu, dass die Autoren sich an ein internationales Publikum wenden müssen, was sich letztlich auch auf ihr Schreiben auswirkt.
Kulturspezifische Besonderheiten, Wortspiele und Anspielungen, die typisch für eine Sprache sind, werden vermieden, um es den Übersetzern leichter zu machen und Missverständnissen vorzubeugen.

Verloren gehen Romane, "die in tieferen Nuancen ihrer eigenen Sprache und literarischen Kultur schwelgen, Texte, die die echte Lebensweise dieser oder jener sprachlichen Gruppe kritisieren oder besingen können." (S.42)

Und das wäre wirklich ein Verlust! Im Essay "Kunst, die zu Hause bleibt" finden wir dazu die Aussage:
"Aber was ist, wenn die Qualität einiger guter Kunstwerke gerade in ihrer Beziehung zum Lokalen und Zeitgenössischen liegt, zu dem Leben, das ihnen mitgegeben wurde, um hier und jetzt erfahren zu werden." (91)
Um solche Kunstwerke vollständig zu genießen, bedarf es der Kenntnis des Milieu, erst dann kann man diese Romane intensiv erleben.

Der Essayband beleuchtet noch viele weitere Fragen, zum Beispiel über die Vorherrschaft des amerikanischen Englisch in der Literatur, die Schwierigkeiten beim literarischen Übersetzen, den Beruf des Schriftstellers.
Nicht allen Essays konnte ich etwas abgewinnen, aber der Band beinhaltet viele provokante, aber auch amüsante Denkanstöße rund um das Lesen und den Literaturbetrieb von einem Autor, der gleichzeitig Romane und Sachbücher verfasst sowie literarisches Übersetzen an der Universität in Mailand lehrt.
Empfehlenswert für alle, die über ihr eigenes Lesen hinausschauen wollen.